Mittwoch, 20. Februar 2019

Wo komme ich her?

Während unseres Besuchs bei meinem Vater am Samstag fragte er plötzlich, ob wir ein paar Bilder anschauen möchten. Natürlich wollten wir, es waren nämlich Bilder aus seiner Vergangenheit, die ich bisher noch nie gesehen hatte.

Es kamen Fotos zum Vorschein aus seiner Kindheit und Jugend, Bilder seiner Eltern, Grosseltern und der Geschwister. Zum ersten Mal erzählte er auch Einiges aus der Zeit nach Kriegsende, und ich hörte zum ersten Mal, dass er eine Schwester hatte, die in den letzten Kriegstagen tragisch durch einen Granatsplitter ums Leben kam.

Dabei fiel mir auf, wie wenig ich eigentlich aus dem Leben meiner Eltern weiss. Und mein Vater hat ganz viele alte Bilder schon entsorgt, weil er der Meinung war, dass sich die sowieso niemand mehr anschauen würde ...

Die gezeigten Bilder haben wir mitgenommen, dazu noch ein paar Informationen zu Namen und Daten meines Stammbaumes. Mein Papa ist der Letzte der fünf Geschwister, der noch lebt, wenn er nicht mehr da ist, gehen auch viele Erinnerungen mit ihm verloren. Geschichten aus der Zeit nach dem Krieg, Spaziergänge mit seinem Bruder vorbei an brennenden Ruinen in Berlin, Vertreibung durch die Russen, die erste Banane seines Lebens und viele andere kleine Anekdoten.

Es waren schwere Zeiten damals und die Kindheit war alles andere als unbeschwert. Manchmal wünschte man sich, die heutige Generation hätte etwas mehr Respekt vor dem, was inzwischen alltäglich ist, und würde nicht vieles als selbstverständlich hinnehmen und leichtfertig aufs Spiel setzen.

Ich fand es spannend, die Bilder anzuschauen und meinem Papa zuzuhören. Manche Erinnerung mag mit der Zeit verblasst oder verfälscht sein, und vielleicht gibt es Einiges, was er verdrängt oder vergessen hat. Immerhin habe ich zu einigen Fotos jetzt auch einen Hintergrund, und irgendwann wird es das Einzige sein, was bleibt.

4 Kommentare:

  1. Solche Geschichten sind wichtig und sollten bewahrt werden, gerade auch über traumatische Erlebnisse, da diese nämlich, bis zu vier Generationen über die Gene weitergegeben werden. Gerade Unausgesprochenes, sogenannte Familiengeheimnisse, sogar wenn sie eigentlich uninteressant scheinen, können eine ziemlich destruktive Wirkung ausüben. D.h. manchmal kann man scheinbar ohne Grund Probleme oder Ängste haben und muß ein Trauma auflösen, welches noch aus der Ahnenreihe stammt. Meine Eltern waren auch Kriegskinder und ich wurde leider erst vor einigen Jahren von einer Psychologin darauf aufmerksam gemacht, wie solche traumatischen Ereignisse auf das Familiensystem sogar über mehrere Generationen hinweg noch einwirken. Die Geschichten zu bewahren löst zwar an sich keine Probleme, hilft aber die Hintergründe zu beleuchten und die richtige Fährte zu finden. Und wenn nicht einem selbst, helfen sie vielleicht den Kindern, um zu verstehen, was sie sozusagen vererbt bekommen haben.

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    1. Das ist wirklich ein spannendes Thema, auch wenn man es auf den ersten Blick vielleicht als Spinnerei abtun mag. Nun war mein Vater erst fünf Jahre alt, als der Krieg zu Ende war, und dementsprechend gering ist sein Erinnerungsvermögen an diese Zeit. Daher kann er aus dieser Zeit auch recht wenig erzählen und einige Bilder verschwimmen zwischen eigenem Erleben und dem Erzählten der Eltern. Aber auch und gerade die werden sicher einen ganzen Berg an Ereignissen mit sich herum geschleppt und unbewusst abgeladen haben. Wer weiss, was da so alles in uns schlummert.

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    2. Letztens lief auf arte eine Doku zu diesem Thema, den Titel weiß ich leider nicht mehr, da wurde auch gezeigt, daß es wissenbschaftlich nachweisbar ist, wie traumatische Erlebnisse die Gene verändern und diese Gene dann weitervererbt werden. Es gibt wohl sogar ein spezielles Traumagen. Spinnerei ist es also längst nicht mehr, auch wenn man früher davon überhaupt nichts wußte (obwohl es eigentlich auch in der Bibel steht). Es ist in der Tat ein spannendes Thema und die Psychologin meinte aus ihrer Praxis mit einer Vielzahl von Klienten, daß es wohl auch gerade ein kollektives Thema ist, daß nachgefolgte Generationen jetzt diese Kriegstraumen bearbeiten, wozu die Eltern oder Großeltern meist nicht in der Lage waren.

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    3. Ich hab dazu auch mal ein wenig im Netz gesucht und auch in der Schweiz Interessantes zum Lesen gefunden, u. a. einen Artikel schon von 2016 auf einer durchaus seriösen Plattform:
      https://www.beobachter.ch/umwelt/genetik-sind-traumata-vererbbar
      Genetik ist eben doch mehr als die mathematische Anwendung der Vererbungslehre.

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